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PONTIFIKALAMT
DES APOSTOLISCHEN NUNTIUS IN DEUTSCHLAND,
ERZBISCHOF DR. GIOVANNI LAJOLO,
IN DER PFARRKIRCHE ST. KAMILLUS
IN 14059 BERLIN-CHARLOTTENBURG, KLAUSENERPLATZ 12/13,
AM 31. MAI 2003 UM 18.30 UHR
(7. S. D. OSTERZEIT: APG 1, 12-14; 1 PETR 4, 13-16; JOH 17, 1-11a)
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Schwestern und Brüder,
Vater, du hast mir Macht über alle Menschen
gegeben, damit ich allen, die du mir gegeben hast, ewiges Leben schenke.
Das ist das ewige Leben: dich, Vater, den einzigen wahren Gott, zu erkennen,
und Jesus Christus, den du gesandt hast.
Schwestern und Brüder im Herrn!
1. Wir haben diese Worte des Herrn im heutigen Evangelium
gehört. Es sind Worte, die er am Anfang seines großen Gebetes
während des Letzten Abendmahles, da er in einer Stunde tiefer Bewegtheit
sein Herz zum Vater erhob, an ihn gerichtet hat. Jesus spricht von dem
Geschenk des „ewigen Lebens“.
Wenn wir uns in der Gesellschaft, in der wir leben, umschauen - hier
in Deutschland, aber auch in unseren Heimatländern -, können
wir wohl die Frage stellen: Das ewige Leben? Wer macht sich darüber
Gedanken? Viele werden sagen oder denken: Wir haben andere Probleme
mit größerer Dringlichkeit zu lösen - Probleme im Bereich
der Familie, der Arbeit, der Gesundheit, der Gesellschaft, Probleme
des Friedens: Probleme, die uns umtreiben und uns nahe gehen, weil es
Probleme des Diesseits sind.
Man kann nicht leugnen: Das sind reale Probleme. Doch muss man hinzufügen:
Wichtiger als sie alle ist das Problem des Jenseits, des ewigen Lebens.
Denn für jeden wird der Augenblick kommen, da die Fragen, die sich
auf diese Welt beziehen, keine Bedeutung mehr haben, da es vielmehr
um sein endgültiges, ewiges Schicksal geht - ob er in Seligkeit
an der göttlichen Freude teilhaben darf oder ihrer unwiederbringlich
verlustig geht. Uns, die wir vor dieser unausweichlichen Alternative
stehen, bietet Christus das Geschenk des ewigen Lebens an. Er sagt uns
auch, worin es besteht und wie wir es erlangen können: „Das
ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und
Jesus Christus, den du gesandt hast.“
2. Die Frage ist also: Wie kann man Gott erkennen
und Jesus Christus, den Gott gesandt hat? Mir scheint, dass es - das
liegt in der Natur personaler Beziehungen - keinen anderen Weg gibt,
Gott und Jesus Christus zu erkennen, als den persönlichen Umgang
mit ihnen zu pflegen, mit ihnen zu sprechen und auf sie zu hören.
Wie können wir also Gott hören? Wie können wir Jesus
hören? Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Gott spricht zu
uns durch die Natur - er spricht zu uns durch unsere eigene Geschichte
- er spricht zu uns durch seine Apostel und ihre Nachfolger: „Wer
euch hört, der hört mich“(Lk 10, 16) - er spricht in
einer ganz besonderen Weise zu uns in der Heiligen Schrift: Sie ist,
wie wir am Ende der Lesungen gehört haben, „Wort des lebendigen
Gottes“.
Um Gott und Jesus Christus kennenzulernen (aber auch uns selbst), ist
die Heilige Schrift ein privilegiertes Mittel. Das möchte ich heute
anlässlich des Ökumenischen Kirchentages unterstreichen; denn
die Heilige Schrift ist die gemeinsame objektive Grundlage des Glaubens,
auf die sich die Katholiken wie die evangelischen Christen beziehen.
3. In der Heiligen Schrift und besonders in den
Evangelien wird uns Gott zunächst als Vater geoffenbart. Er ist
es, der uns ins Dasein gerufen hat - er ist es, der in seiner Vorsehung
allzeit für uns sorgt - er ist es, der uns mit seinem Wort erzieht
- der uns den Weg ins Leben zeigt und uns zugleich die Kraft verleiht,
ihn zu gehen. Der Name Gottes ist eben „Vater“. Und Jesus
fasst all seine Lehren, die wir gehört haben, in dem einfachen
und erhabenen Wort zusammen: „Vater, ... ich habe deinen Namen
den Menschen geoffenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast.“
Gott als Vater ist die Kenntnis Gottes, die den Jüngern Jesu gegeben
ist. So kennen wir Gott. Zugleich - wir sollten das nicht vergessen
- wird uns die unvergleichliche Würde des Menschen geoffenbart,
der Gott zum Vater hat und der weiß, dass sein wahres Vaterland
- das Haus, wo er mit Liebe und Freude erwartet ist - das Haus des Vaters
ist.
4. In der Heiligen Schrift - und vor allem in den
Evangelien - wird uns zugleich, ja, zuerst „Jesus Christus, den
der Vater gesandt hat“, geoffenbart. Er ist das wahre Abbild des
Vaters: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“, sagt
Jesus dem Apostel Philippus, als der ihn bittet, den Jüngern den
Vater zu zeigen (Joh 14, 9). Wenn wir auf die Heilige Schrift hören,
können wir Jesus erkennen: wie er uns nahe ist, wie er sich über
unsere Krankheiten beugt, wie er Verständnis für unsere Schwachheiten
hat, wie er bereit ist, uns auf seinen Schultern zu tragen wie der Hirt
des Gleichnisses das verlorene und wiedergefundene Schaf. Aus seinem
Munde hören wir die unvergleichlichen Worte, die uns sein Innerstes
zeigen: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten
zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf
euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele“ (Mt 11, 28f). Durch
seine Selbsthingabe am Kreuz befreit uns Jesus von der Sünde, durch
seine Auferstehung befreit er uns vom Tod und öffnet uns die Tür
zum ewigen Leben. So können wir ihn kennen und erkennen: Er ist
für uns der Weg, die Wahrheit und das Leben.
5. Um Gott zu erkennen, genügt es nicht, Gott
zu hören, wir müssen ihm auch antworten, mit ihm sprechen;
unsere Seele muss sich öffnen und sich zu ihm erheben. Dann offenbart
er sich uns in der Tiefe der gegenseitigen Beziehung. Wie geschieht
nun dieses Antworten?
Es geschieht, wenn wir beten. Wir haben in der Ersten Lesung gehört,
wie die Apostel zusammen mit Maria und den anderen Frauen im Abendmahlssaal
in Jerusalem einmütig im Gebet verharrten. Im Gebet stellen wir
uns in unserer Bedürftigkeit vor Gott. Im Gebet danken wir dem
Herrn für all die Gaben, die er uns nie hat fehlen lassen. Im Gebet
preisen wir ihn für das, was er ist. Im Gebet öffnen wir uns
- wie die Apostel mit Maria im Obergemach - für seine größte
Gabe, den Heiligen Geist. Durch das Licht eben dieses Heiligen Geistes
gibt sich Gott uns zu erkennen, indem er uns Trost spendet, uns seine
Kraft verleiht, unsere Hoffnung erneuert, unser Leben fruchtbar macht
und unser Herz zu dem erhebt, was droben ist, wo Christus zur Rechten
des Vaters sitzt (vgl. Kol 3, 1f). Im Gebet erkennen wir Gott: Er ist
Liebe, er ist Freude, er ist das Leben unseres Lebens.
Es gibt ein besonderes Gebet, in dem wir Jesus in einmaliger Weise erkennen
können. Der Heilige Vater hat uns vor kurzem mit einer Enzyklika
daran erinnert. Es ist der Rosenkranz. In seinen Geheimnissen, die wir
betrachten - in dem Vaterunser, das sie einführt - in den Ave-Marias
richtet sich unser Blick immer auf Jesus, die gebenedeite Frucht ihres
Schoßes. Und wir lernen, wie der Papst sagt, das Antlitz Christi
mit dem Blick Marias, seiner Mutter, zu sehen und zu erkennen. Es gibt
keine schönere Erkenntnis. Sie ist immer auch von jenen besonderen
Gnaden begleitet, die mit dem Gebet des Rosenkranzes verbunden sind,
vor allem, wenn er in der Familie gebetet wird.
Da dieser Gottesdienst im Rahmen des Ökumenischen Kirchentages
stattfindet, sei es mir gestattet, mit Bezug auf das Rosenkranzgebet
eine Frage zu stellen: Den Rosenkranz kann man zwar als ein katholisches
Gebet betrachten, doch stand er in der Kirche schon Jahrhunderte vor
der protestantischen Reformation, also in einer Zeit der Einheit der
Christen, in hohen Ehren. So frage ich mich: Wäre es verwegen,
unsere evangelischen Brüder und Schwestern einzuladen, den Rosenkranz
als gemeinsames Gebet wiederzuentdecken und ihn mit uns zu beten? Eine
gemeinsame Eucharistiefeier ist nicht möglich, wohl aber ist es
möglich, gemeinsam den Rosenkranz zu beten. Ich bin sicher, das
daraus eine unabsehbare Gnade für die Einheit der Christen erwachsen
würde.
6. Auf das Wort Gottes zu antworten, bedeutet aber
nicht nur, zu beten, mit Gott zu sprechen, sondern auch, vor der Welt
von ihm Zeugnis zu geben.
Man gibt Zeugnis zunächst, indem man seinen Glauben konsequent
lebt - in der Familie, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft. In seinem
Ersten Brief sagt der Apostel Johannes: „Wenn wir seine Gebote
halten, erkennen wir, dass wir ihn erkannt haben. Wer sagt: Ich habe
ihn erkannt!, aber seine Gebote nicht hält, der ist ein Lügner“
(1 Joh 2, 3f). Das bedeutet, dass Gott zu erkennen, nicht eine Frage
des abstrakten Verstandes ist - Gott zu erkennen, ist eine Frage des
gelebten Lebens.
Von Gott geben wir auch Zeugnis, indem wir mit Mut bekennen, was wir
glauben. Das Zeugnis von der Wahrheit provoziert, wie die Geschichte
des Christentums zeigt, Widerstand. Wir haben aber in der Zweiten Lesung
gehört, wie der Apostel Petrus uns ermutigt, uns nicht der Verfolgung
zu schämen, sondern uns zu freuen, Gott durch das Bekenntnis zu
ihm zu verherrlichen. Zeugnis zu geben, verlangt Mut, ist aber mit der
Verheißung des ewigen Lebens verbunden. Jesus hat gesagt: „Wer
sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor
meinem Vater im Himmel bekennen“ (Mt 10, 32).
7. All das, Schwestern und Brüder im Herrn,
auf Gott hören, ihm zu antworten, von ihm Zeugnis zu geben: all
das scheint mir in dem Wort enthalten, das wir gehört haben: „Das
ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen, und
Jesus Christus, den du gesandt hast.“
Darin gibt es - das möchte ich im Hinblick auf den Ökumenischen
Kirchentag ausdrücklich betonen - keine Trennung zwischen katholischen
und evangelischen Christen. Das soll auch unser ökumenisches Zeugnis
vor der Welt prägen.
Der Ökumenische Kirchentag steht unter dem Leitwort: Ihr sollt
ein Segen sein. Gibt es einen größeren Segen, den wir unseren
Mitmenschen und insbesondere der Jugend geben können als den, dass
wir uns gemeinsam mit Überzeugung und Freude zu Jesus Christus
bekennen und zu der Fülle des Lebens, an der er uns teilhaben lässt?
Möge das Wort Gottes uns mit Dankbarkeit erfüllen und uns
neuen Mut einflößen, gemeinsam vor der Welt den einzigen
wahren Gott, den Vater Jesu und unseren Vater, zu bekennen und Jesus
Christus, den der Vater zu uns gesandt hat:
zum Segen für unser Leben
und für die ganze Welt.

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