"Einheit nicht auf Kosten der Wahrheit"
Nuntius Lajolo bewertet Kirchentag als Ermutigung für Ökumene

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Unter starker Beachtung der gesamten christlichen Welt hat in Berlin der erste Ökumenische Kirchentag stattgefunden. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußerte sich am Montag in Berlin der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Giovanni Lajolo, zum Verlauf und zu den Auswirkungen dieses kirchlichen Großereignisses aus vatikanischer Sicht.

KNA: Herr Nuntius, Sie haben zu Beginn des Ökumenischen Kirchentages die Botschaft des Papstes verlesen. Wie ist Ihr Gesamteindruck vom Verlauf des ÖKT?

Lajolo: Es war zunächst einmal ein überwältigender Eindruck, als ich die große Zahl der Gläubigen sah, die das Gelände vom Brandenburger Tor bis zur Siegessäule füllte. Besonders der hohe Anteil der Jugendlichen hat mich beeindruckt. Mehr als 30 Prozent der Teilnehmer waren zwischen 12 und 29 Jahren. Die Anwesenheit so vieler junger Menschen ist ein deutliches Zeichen der Hoffnung. Fünf Tage lang war Berlin Zentrum freundschaftlicher Begegnungen, gegenseitiger Information, sachlicher Aussprachen, die vor allem um Glaubensfragen kreisten, und auch des gemeinsamen Betens und Feierns von Gottesdiensten. In einer säkularisierten Gesellschaft und in dieser Stadt, in der Christen insgesamt nicht einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, war das ein unübersehbares Signal. Ich glaube daher, dass man die positive Bewertung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und des Evangelischen Kirchentages als Organisatoren teilen kann. Selbstverständlich können die mehr als 3.000 Veranstaltungen des Kirchentages nur differenziert beurteilt werden.

KNA: Wird dieser Kirchentag Folgen für die Ökumene haben?

Lajolo: Es war nicht das Ziel, durch diesen ÖKT konkrete Ergebnisse in der Überwindung theologischer Differenzen auf dem Weg zur Einheit aller Christen zu erreichen. Ein wichtiges Ergebnis hat, so meine ich, der Papst in seiner Botschaft als Wunsch zum Ausdruck gebracht, dem Einsatz für die Ökumene neuen Schwung zu verleihen. So ist dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, beizupflichten, wenn er sagt, dass der Kirchentag Zuversicht ausgestrahlt hat, die Mut zur Zukunft macht.

KNA: Was heißt das konkret?

Lajolo: Auf die Katholiken bezogen, steht es den Bischöfen - und nur den Bischöfen zu, konkrete Wege aufzuzeigen, und den gemeinsamen Einsatz der Richtung auf die Einheit aller Christen zu gestalten. Die ökumenischen Bemühungen berühren das Wesen der Kirche, das sakramentale Leben der Christen und damit zentrale Wahrheiten der Offenbarung. Wir haben also hier ein zu wichtiges und empfindliches Feld, als dass es der freien Initiative von wohlmeinenden, aber oft nicht hinreichend dazu befähigten Enthusiasten überlassen werden dürfte. Sonst besteht nämlich die Gefahr, dass das, was mit viel Mühe erreicht worden ist, durch die Begrenztheit theologischer Kompetenz beschädigt wird. Es steht außer Zweifel, dass es auf keinen Fall der Einheit der Kirche dient, wenn diese Einheit mit dem Nachfolger Petri und den Nachfolgern der Apostel verletzt wird.

KNA: Beziehen Sie sich hierbei auf den Fall Hasenhüttl, der in der evangelischen Gethsemanekirche eine offene Eucharistie gefeiert hat, und auf den Fall des Pfarrers Kroll, der in derselben Kirche aktiv an einem evangelischen Abendmahl teilnahm?

Lajolo: Nein, das sind extreme Fälle. Ich wollte hervorheben, dass jede Initiative im Bereich der Ökumene seitens der Katholiken im Einklang mit dem Ökumenischen Direktorium von 1993 sowie den anderen einschlägigen Anweisungen, die die Bischöfe herausgegeben haben, stehen muss. In erster Linie sind es eben Papst und Bischöfe, die kraft ihres Amtes die letzte Verantwortung für die Einheit der Kirche tragen.

KNA: Sie haben die beiden Fälle Hasenhüttl und Kroll "extrem" genannt...

Lajolo: Das sind sie in der Tat. Mir scheint, dass es sich hierbei nicht nur um den Straftatbestand der verbotenen "communicatio in sacris", also einer nicht legitimen Gottesdienstgemeinschaft, handelt und zwar in einer provokativen Form, sondern nach den öffentlichen Erklärungen von Hasenhüttl und Kroll auch um die Leugnung von Glaubenswahrheiten. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die lehramtlichen Äußerungen der jüngsten EucharistieEnzyklika des Heiligen Vaters, insbesondere auf die Aussagen zur Interkommunion.

KNA: Der Eichstätter Bischof Mixa hat inzwischen auf den Fall seines Diözesanpriesters Kroll reagiert und ihn vorläufig von der Ausübung seines priesterlichen Amtes suspendiert. Die Gläubigen seiner Pfarrei Großhabersdorf haben sich allerdings demonstrativ auf die Seite ihres Pfarrers gestellt...

Lajolo: Ich glaube, dass die Entscheidung von Bischof Mixa auf der Grundlage des Kirchenrechts wohl eine notwendige Maßnahme war, um auf dieses Ärgernis zu reagieren, und um ähnlich unbesonnenen Handlungen zuvorzukommen. Zugleich sollte Pfarrer Kroll damit bewegt werden, seine Haltung und seine theologischen Auffassungen zu überdenken, um wieder in Eintracht mit seinem Bischof, dem er bei der Priesterweihe Gehorsam versprochen hat, zu leben und zu handeln. Ich bin sicher, dass Pfarrer Kroll in Bischof Mixa jemanden hat, der ihm helfen wird, den angerichteten Schaden in Ordnung zu bringen. Was die Reaktionen in der Gemeinde betrifft, die vermutlich von interessierter Seite angeheizt wurden, wäre es wohl angebracht, den Gläubigen im Gespräch die Tragweite dieses Fehlverhaltens aufzuzeigen und die Angemessenheit der bischöflichen Maßnahmen zu erläutern.

KNA: Was hat Professor Hasenhüttl zu erwarten?

Lajolo: Ich nehme an, dass die zuständigen Bischöfe von Berlin und Trier über die Schwere und die Folgen des Falles zu einer Entscheidung kommen werden. Inzwischen hat der Berliner Kardinal Sterzinsky ja Professor Hasenhüttl zu einem Gespräch eingeladen. Man muss das Ergebnis abwarten.

KNA: Die evangelische Kirche vertritt in der Abendmahlsfrage eine andere Position: Von maßgeblichen protestantischen Persönlichkeiten wird die theologische Auffassung vertreten, dass beim Abendmahl Christus selbst der Einladende sei und die Kirche einer solchen Einladung von oben nicht widersprechen könne...

Lajolo: Darüber bin ich ein wenig überrascht. Bekanntlich vertraten bis vor wenigen Jahren auch die evangelischen Kirchen die Überzeugung, dass Tischgemeinschaft die Zustimmung zur Lehre voraussetze. Erst durch die "Leuenberger Konkordie" kam es Anfang der 1970er Jahre zwischen der lutherischen und der reformierten Kirche zur Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft und zur Aufhebung der seit dem 16. Jahrhundert dieser entgegenstehenden Trennungen - und zwar aus der Überzeugung heraus, dass trotz der weiterin bestehenden beträchtlichen Unterschiede in der Lehre und in der Gestaltung des Gottesdienstes keine kirchentrennenden Faktoren zu erblicken sind und sie gemeinsam an der einen Kirche Christi teilhaben. Mit dieser Konkordie ist also implizit anerkannt, dass die Tischgemeinschaft beim Abendmahl keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist, die auf einer allgemeinen Einladung Christi gründet.

KNA: Was heißt das für die katholische Kirche?

Lajolo: Für Katholiken gilt die Norm, die schon im 2. Jahrhundert von dem Philosophen und Märtyrer Justin mit den Worten dargelegt wurde: "An der Eucharistie darf nur teilnehmen, wer an die Wahrheit unserer Lehre glaubt, wer gewaschen ist im Bad der Sündenvergebung und Wiedergeburt und wer nach der Weisung Christi lebt." Diese Aussage gründet ihrerseits auf der apostolischen Lehre, wie dem Neuen Testament - vor allem dem ersten Korintherbrief - klar zu entnehmen ist. Die Eucharistie ist für Katholiken die Mitte und der Höhepunkt des Lebens der Kirche. Eucharistische und kirchliche Einheit können daher nicht getrennt werden.

KNA: Ist eine solche unterschiedliche Position überhaupt zu überwinden?

Lajolo: Bei Gott ist alles möglich. So hoffen wir und arbeiten daran, mit Gott solche Hindernisse auszuräumen. In seiner Botschaft an den ÖKT hat der Papst erklärt: "Die Gemeinschaft im Glauben ist stärker als das Trennende." Das ist unbestreitbar. Mit der Taufe werden wir alle Kinder Gottes. Wir alle erkennen Christus als unseren einzigen Herrn und Lehrer an. Und wir alle glauben an sein Wort und wollen aus ihm leben. Gleichwohl dürfen wir die spezifischen Unterschiede, ja, Gegensätze nicht übersehen, die keineswegs Randfragen betreffen. Es handelt sich dabei um Glaubensinhalte, die vom höchsten kirchlichen Lehramt verbindlich definiert worden sind. Der Punkt, in dem sich meines Erachtens alles verdichtet, ist die Frage der Gültigkeit von Bischofs- und Priesterweihe im katholischen Verständnis. Nach unserem Glauben gibt es ohne gültige Weihe keine gültige Eucharistie, wobei für die Teilnahme hieran nicht nur derselbe Glaube an das eucharistische Geheimnis genügt, sondern - zumindest implizit - die Zustimmung zum gesamten Glauben der Kirche gegeben sein muss. Der Weg ist also noch sehr weit und verlangt einen langen Atem. Allerdings darf das nicht dazu führen, dass der ökumenische Einsatz gemindert wird, er muss - im Gegenteil - noch intensiviert werden. Aber: Die Einheit der Kirche ist Geschenk Gottes und nicht menschliches Werk.

KNA: Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die Ungeduld der Gläubigen wächst.

Lajolo: Das stimmt. Und wir verstehen und teilen diese Ungeduld. Aber man würde sich etwas vormachen, wollte man die Einheit auf der Grundlage von Kompromissen in der Wahrheitsfrage herbeiführen. Versöhnte Verschiedenheit zwischen einander widersprechenden Lehrsätzen ist nicht vorstellbar; Versöhnung hat vielmehr mit Personen zu tun. Und daher hoffe ich, dass es zwischen Katholiken und Protestanten nicht nur Versöhnung, sondern auch Freundschaft gibt. In diesem Geist sollte der Weg der Ökumene weiter beschritten werden.

KNA: Befürworten Sie damit einen nächsten ÖKT?

Lajolo: Ob ein zweiter gemeinsamer Kirchentag stattfindet, darüber müssen die Organisatoren entscheiden, die sich bereits im positiven Sinn geäußert haben. Doch auch die Bischöfe werden Position beziehen müssen, vor allem im Hinblick auf das religiöse Profil eines solchen Treffens. Bei allen Überlegungen sollte ein Wort des Papstes beherzigt werden, der dazu aufgerufen hat, "alles gemeinsam zu tun, was wir nicht getrennt tun müssen" - und das "in voller Achtung vor der unterschiedlichen Identität und den unterschiedlichen Traditionen".
Interview: Helmut S. Ruppert (KNA)