PONTIFIKALAMT AM 12. OKTOBER 2003 IN DER WALLFAHRTSKIRCHE IN WERL ZUR FEIER IHRER ERHEBUNG ZUR BASILIKA VOR 50 JAHREN (ZEF 3, 14-17; 1 JOH 1, 1-7, LK 1, 39-56)

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Predigt:

Schwestern und Brüder im Herrn!

1. In einem seiner schönsten Texte spricht das Zweite Vatikanische Konzil von Maria, der Jungfrau und Mutter, die in den Himmel aufgenommen ist, und sieht in ihr wegen ihrer Tugend, wegen ihrer einmaligen Beziehung zu Christus und den Menschen, wegen ihres Lebens voller Gnade und Herrlichkeit, ein Bild der Kirche (vgl. Lumen gentium Kap. 8).

Es ist also angemessen, dass wir uns hier in dieser Kirche, die Maria geweiht ist und deren Erhebung zur Basilika vor 50 Jahren gefeiert wird, vom Wort Gottes einladen lassen, über unsere Wirklichkeit als Kirche nachzudenken, indem wir mit erneutem Staunen auf den Gesang der Dankbarkeit und der Freude Marias hören.

2. Die Erste Lesung hat uns auf die ursprüngliche und grundlegende Wirklichkeit als Kirche hingewiesen, die auch - bestimmt in einer irgendwie exemplarischen, aber auch einmaligen Weise - die ursprüngliche und grundlegende Wirklichkeit Marias ist. „Der Herr, dein Gott, ist deine Mitte.“

Die Kirche ist durch Gott, die Quelle des Lebens und das Ziel ihres Tuns, zusammengerufen (vgl. Lumen gentium Kap. 1). Es ist eine elementare Wahrheit; wir aber sind oft geneigt, unsere Aufmerksamkeit auf anderes zu richten. Nicht nur die Welt, d. h. die Nichtglaubenden, auch wir selbst - lassen Sie es uns bekennen - vergessen Gott allzu leicht. Und indem wir ihn vergessen, wird unser Leben trübe, verliert es die Hoffnung und die Freude, die es beseelen.

Zwei Gründe für die Freude gibt es, die von Gott stammen und auf die die Lesung hinweist:

Der erste: „ Der Herr ist in deiner Mitte, du hast kein Unheil mehr zu fürchten.“ In der Tat, Gott ist der Schöpfer des Weltalls, er ist der Herr der Geschichte. Er begleitet uns alle und jeden von uns mit dem liebenden Blick des Vaters, seine Vorsehung lässt uns nicht allein. Der Apostel Paulus ruft aus: „Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns“ (Röm 8, 31)?

Der zweite Grund: „Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der dir Rettung bringt. Er freut sich und jubelt über dich, er erneuert seine Liebe zu dir, er jubelt über dich und frohlockt, wie man frohlockt an einem Festtag.“

Der Verlobte denkt mit Freude an die Verlobte und an die Freude, die sie hat, wenn sie mit ihm zusammen ist. Das verändert sein Leben und macht es ihm in neuer Weise wert, es zu leben. Es gibt aber eine noch größere Liebe, die uns noch mehr befähigt, unser Leben mit Freude zu erfüllen: Es ist die Liebe, die Gott zu uns hat. Er will sich an uns freuen.

Diesbezüglich müssen wir uns als Gläubige, als Kirche fragen: Wie erwidern wir die Liebe Gottes zu uns, seine Freude an uns? Wie sieht es mit dieser Freude in uns aus? Wie geben wir von ihr Zeugnis? Bestimmt gibt es auch ein Ringen um den Glauben, bestimmt gibt es auch Prüfungen des Glaubens. Im Alltag fehlen die dunklen, die mit Schmerzen verbundenen, ja die tragischen Tage nicht. Wenn es aber stimmt, dass der Herr mitten unter uns ist, dann muss am Ende die Freude, die von Gott kommt, das Übergewicht haben und ausstrahlen. Maria, die in diesem Heiligtum verehrt wird, erwirke uns diese Gnade.

3. Die Zweite Lesung bietet uns - so scheint mir - eine schöne Umschreibung dessen, was die Kirche ist. Wir haben gehört, dass der Apostel Johannes schreibt: „Wenn wir im Licht leben, wie er im Licht ist, haben wir Gemeinschaft miteinander.“ Die Kirche ist also die große Gemeinschaft des Lichtes. Worin besteht nun dieses Licht?

Die Antwort ist leicht: Es besteht in Gott selbst - zuerst und vor allem. Aber auch in dem Glanz der Wahrheit über Gott und über den Menschen, den er über unser Leben ausstrahlen lässt, in den Werten, deren er uns teilhaftig macht, in den Institutionen des Lebens, die er uns mit seinen Geboten gibt. Das auserwählte Volk war sich wohl bewusst, dass Gott ihm wie keinem anderen Volk nahe war und dass kein anderes Volk sich Gesetze und öffentlicher Einrichtungen rühmen konnte, die so weise waren wie die, die Gott ihm gegeben hatte (vgl. Dtn 4, 1-8). Ein ähnliches, ja ein noch größeres Selbstbewusstsein sollen wir haben, die wir - wie wir eben gehört haben - zu dieser großen Gemeinschaft des Lichtes gehören. Und dieses Bewusstsein soll unser persönliches Leben wie auch unseren sozialen Einsatz prägen.

Die Gesellschaft, in der wir heute leben, zeichnet sich in besonderer Weise durch den Einsatz für die Bildung eines neuen Europas aus. Wie wird das vereinigte Europa von dem Licht, das Gott uns gegeben hat, erleuchtet sein? Welchen Platz wird Gott dort innehaben, welchen Rang wird man seinem Gesetz und den von Gott der Natur eingestifteten Institutionen einräumen? Es geht dabei um Institutionen zum Schutz des Lebens des Menschen - es geht dabei um Institutionen zur Förderung des Lebens des Menschen, die sicherstellen sollen, dass er sich persönlich frei verwirklichen kann, zugleich aber innerhalb einer gerechten gesellschaftlichen Ordnung: in der Solidarität zwischen den Generationen und sozialen Schichten - in der Einheit, der Heiligkeit und Fruchtbarkeit der Familie, die auf die Ehe gegründet ist: mit einem Wort: Es geht um die der Kultur des Lebens.

In seinem Apostolischen Schreiben Ecclesia in Europa hat Papst Johannes Paul II. - indem er die Voten der Bischöfe aus ganz Europa zusammenfasst - konkrete Wege aufgezeigt, damit jenes Licht, das von Gott ausstrahlt, das neue Europa und das Leben der jungen Generation und der künftigen Generationen, die es bewohnen werden, aufhellen kann.

4. Die Begegnung zwischen Maria und Elisabeth im Haus des Zacharias - davon berichtet uns das heutige Evangelium - ist eine Begegnung voller Freude: voller Freude, weil Christus, der Messias, anwesend und - wenn auch noch im jungfräulichen Schoß Marias verborgen - schon am Werk ist.

Maria besingt die Freude, mit der Gott ihr Herz überflutet hat: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“ Sie besingt aber auch die Freude über die geheimnisvollen Wege, auf denen Gott die Geschichte lenkt, die anders sind als die Pläne der Menschen, und die Barmherzigkeit Gottes: „Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten und denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“ Und wir sind die wahren Nachkommen Abrahams, seine Nachkommen im Geist und im Glauben. Maria singt also - prägen wir es uns ein - Maria singt ihre Freude über uns - wie eine Mutter voll Dankbarkeit und Freude für das Glück jubelt, dass sie sich in ihren Kindern verwirklicht sieht. Wenn wir unter denjenigen sind, die den Herrn fürchten, die an ihn glauben, die auf ihn vertrauen, ihn lieben, ihn zur Mitte ihres Herzens machen: so, wie er im Herzen Marias war, dann werden wir unsere Stimme mit der ihrigen vereinen und als Gläubige und als Kirche die Ankündigung der Freude in der Welt, in der wir leben, widerhallen lassen:

Freut euch und jubelt, in unserer Mitte ist der Herr!