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Nuntius Erzbischof Dr. Erwin Josef Ender Ein Blick auf die Euro-Banknoten offenbart manches über die geistige Verfasstheit der Europäischen Union. Dabei mag man sich zunächst freuen: Die bedeutendste europäische politische Einheit weiß um ihre Kultur. Von ionischen Kapitellen über gotische Kirchenfenster bis hin zur modernen Architektur des 20. Jahrhunderts reicht die Palette europäischer Baukunst, die auf den Euro-Scheinen die kulturellen Leistungen und das Können dieses wahrhaft alten Kontinents repräsentieren. Auf der Rückseite finden sich Brücken, das Symbol der Verbundenheit auch über Gräben hinweg. Anders dürfte das Urteil ausfallen, wenn man bedenkt, was hier nicht dargestellt ist: Die Brücken beginnen im Nichts und enden im Nichts, als sei Niemand da, der sich hier begegnen wollte. Sie schweben eigentümlich und erzeugen höchstens ihr eigenes Spiegelbild in einer imaginären Wasserfläche. Die Fensterbögen auf den Vorderseiten der Geldnoten gehören zu keinem Gebäude und lassen ins Nichts blicken. Vor allem aber: Diese Beispiele der Architektur sind nicht real. Es gibt diese Fenster und Brücken nicht wirklich in Europa. Sie sind Abstraktionen europäischer Kultur ohne jede Konkretion, ohne Lebendigkeit. Auf konkrete Bauwerke, auf eine Zuordnung zu den unterschiedlichen Eurowerten und damit auch auf eine gewisse gemeinsame Deutung ge-meinsamer europäischer Geschichte konnte man sich nicht verständigen. An die Abbildung für Europa bedeutsamer Persönlichkeiten, wie sie auf vielen nationalen Währungen zu finden waren und sind, von Benedikt von Nursia über Karl den Großen bis hin zu Robert Schuman, mag man dabei gar nicht denken. Die Europäische Union kann sich auf Formen verständigen, bleibt dabei aber eigentümlich inhaltsleer. Es kann deshalb kaum verwundern, dass diese abstrakte Europäische Union Schwierigkeiten hat, die Menschen zu begeistern. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges hat die europäische Integration ihre Legitima-tion aus dem Willen zum Frieden und zu einer Abwehr aller Totalitarismen bezogen. So heißt es in der Präambel des ersten europäischen Vertrages, des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl von 1951, dass diese Gemeinschaft gegrün-det wurde in der Erwägung, dass der Weltfriede nur durch schöpferische, den drohenden Gefahren angemessene Anstrengungen gesichert werden kann." Den Weg, den der französi-sche Außenminister Robert Schuman und sein damaliger Berater Jean Monnet einschlugen, war ein pragmatischer, ein auf die wirtschaftliche Integration bezogener: Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen", wie es in der Schuman-Erklärung von 1950 heißt. Jeder Integrationsschritt in den vergangenen 50 Jahren war ein Mittel zur Sicherung des Friedens. Das ist die Erfolgsgeschichte der Europäischen Union. Zugleich sollte jeder pragmatische Integrationsschritt im Bereich der Wirtschaft aber eine tiefere politische Einheit quasi aus sich heraus hervorrufen. Dieser Weg der pragmatischen Wirtschaftsintegration ist mit dem Euro an einem gewissen Höhe-, aber wohl auch an einem Endpunkt angelangt. Zumindest kann man sich schwer vorstellen, wie es in diesem Bereich zu weiteren substantiellen Integrationsfortschritten kommen könnte. Zugleich ist die Urmotivation der europäischen Einigung, der Wille zum Frieden - obschon nach wie vor von größter Bedeutung - nicht mehr wirklich in den Köpfen und Herzen der Menschen verankert und damit motivierend. Nachdem so der pragmatische Integrationsweg an ein Ende angelangt ist, bedarf die Europäische Union einer geistigen Neubegründung. Als die europäische Integration nach dem Zweiten Weltkrieg von Politikern wie Schuman, Adenauer und De Gasperi auf den Weg gebracht wurde, war ihre kulturelle Verwurzelung den europäischen Bürgern klar bewusst, und nicht wenige dieser Akteure haben ihre Europapolitik als christlich motiviert verstanden. Nur so konnte der Weg zunächst ein pragmatischer, auf Wirtschaftsinte-gration bezogener sein. Wenn die Europäische Union sich nun eine Verfassung gibt, wenn sie sich damit auch eine politische Identität geben will, dann muss sie sich bewusst machen, dass der Mensch mehr ist als ein ökonomisches Wesen, dass die Gesellschaft mehr ist als eine Ver-sammlung zur ökonomischen Nutzenmaximierung. Mit der Diskussion um einen Verfassungsvertrag für die EU hat die Frage nach der politischen Identität erneut an Brisanz gewonnen. Es ist das wesentliche Ziel der Verfassungsgebung für die Europäische Union, ihre politische Identität neu und klar zu definieren. Es ist deshalb völlig unverständlich, dass der Entwurf einer Präambel für diese europäische Verfassung ähnlich wie die Architekturbeispiele auf den Banknoten inhaltlich unkonkret, abstrakt bleibt, wenn es da heißt, dass die Vertragschließenden aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas" schöpfen. Europa hat eine uraustauschbare Geschichte, zu der zentral die jüdisch-christliche Tradition gehört. Es ist nicht zu leugnen, dass Europa nachhaltig vom Christentum geprägt wurde. Eine politische Identität Europas ist ohne diese konkrete kulturelle Identität nicht vorstellbar. Nur in einer Überwindung des rein Formalen aber wird Europa das gelingen können, was Papst Johannes Paul II. im Juni 2003 in seinem grundlegenden europäischen Schreiben Ecclesia in Europa" für das Momentum der Verfassungsgebung eingefordert hat: Im Prozess seiner derzeitigen Neugestaltung ist Europa vor allem aufgerufen, seine wahre Identität wiederzuerlangen. Es muss nämlich, auch wenn es inzwischen eine sehr vielgestaltige Wirklichkeit darstellt, ein neues Modell der Einheit in der Vielfalt aufbauen, eine für die anderen Kontinente offene und in den aktuellen Globalisierungsprozess einbezogene Gemeinschaft versöhnter Nationen." Denn, so macht der Papst deutlich, eher als ein geographischer Raum lässt sich Europa als ein vorwiegend kultureller und historischer Begriff bestimmen, der eine Realität kennzeichnet, die als Kontinent auch Dank der einigenden Kraft des Christentums entstanden ist, das es verstanden hat, unterschiedliche Völker und Kulturen in gegenseitiger Ergänzung zusammenzuführen, und das eng mit der gesamten europäischen Kultur verbunden ist". Die Chance einer Selbstbestimmung Europas durch eine klare Aussage in der Präambel des Verfassungsvertrages scheint für den Augenblick vertan zu sein. Das aber verhindert nicht eine christliche Politik in Europa, sondern fordert gerade mit umso größerem Nachdruck ein, deutlich zu machen, dass das in der Präambel angesprochene Erbe vor allem ein christliches ist und dass das politische Handeln sich an christlichen Werten ausrichten muss. Der Verfassungstext, wie ihn der Europäische Rat nun angenommen hat, bietet hierfür einige vielversprechende Ansätze - ganz in dem Sinn, in dem Papst Johannes Paul II. Europa in seinem Schreiben Ecclesia in Europa" bewegt sehen möchte: Um der eigenen Geschichte neuen Schwung zu verleihen, muss es mit schöpferischer Treue jene grundlegenden Werte anerkennen und zurückgewinnen, zu deren Aneignung das Christentum einen entscheidenden Beitrag geleistet hat und die sich in der Bejahung der transzendenten Würde der menschlichen Person, des Wertes der Vernunft, der Freiheit, der Demokratie, des Rechtsstaates und der Unterscheidung zwischen Politik und Religion zusammenfassen lassen." Diese Ansätze sollen im Folgenden kurz angesprochen werden. So ist die Grundrechtecharta in den Verfassungsentwurf integriert worden, wodurch sie mit einem Inkrafttreten der Verfassung rechtsverbindlich wird. Ihre Aufnahme unterstreicht die Wertgebundenheit der Europäischen Union und wurde deshalb auch von kirchlicher Seite gefordert, auch wenn manches in der Grundrechtecharta deutlich klarer hätte formuliert wer-den müssen. So bleibt der Text der Charta und mithin des Teils II der Verfassung in seiner Blickrichtung viel zu sehr auf die Europäische Union fixiert und ist viel zu wenig von der unhintergehbaren, stets nur in Gemeinschaft mit anderen lebbaren personalen Freiheit des Menschen her formuliert. Auch sind einige Formulierungen nicht hinreichend klar. Das in der Charta zwar durchaus Angedeutete, aber nicht Ausformulierte bedarf nun der rechten Ausgestaltung durch die Politik. Zwei Beispiele: In Artikel II-3 wird in einer für eine Grundrechtecharta erstaunlich ausführlichen Form beschrieben, was im Rahmen von Medizin und Biologie hinsichtlich des Rechts auf geistige und körperliche Unversehrtheit eines jeden Menschen besonders zu be-achten ist. Darunter findet sich auch das Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen. Warum aber nicht auch das Verbot eines sogenannten therapeutischen Klonens, lassen sich doch beide Arten nicht wirklich voneinander unterscheiden? Soll damit ermöglicht werden, dass der Mensch einfach als Mittel benutzt wird? Diese letzte Frage stellt sich etwa auch, wenn die EU-Kommission die Forschung mit Embryos und embryonalen Stammzellen mit EU-Mitteln fördern will. Ein zweites Beispiel: Artikel II-33 gewährleistet den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz der Familie. Dies ist eine Formulierung, die sicher einzufordern sein wird. Klärungsbedürftig aber bleibt: Warum findet sich dieser Schutz der Familie unter der Überschrift Familien- und Berufsleben"? Warum wird dieses Thema einsortiert unter die Artikel zum Recht auf Kollektivverhandlungen, zum Zugang zum Arbeitsvermittlungsdienst oder gerechte und angemessenen Arbeitsbedingungen? Geht es auch hier vielleicht gar nicht um die Familie als wichtigster sozialer Gemeinschaft des Dialogs, des Unterhalts, des gegenseitigen Beistands und des Zusammenlebens, sondern womöglich mehr um das reibungslose Funktionieren des Einzelnen im Bereich der Wirtschaft? Eine christlich orientierte Politik drängt hier auf Korrektur. Die Kirche sieht es als ihre Aufgabe in Europa an, im Sinne ihres politisch-diakonischen Auftrags nicht nur eine wertbezogene Politik anzumahnen, sondern auch eine christliche Orientierung europäischer Politik zu unterstützen und diese auch im Dialog mit den europäischen Institutionen weiterzuentwickeln. So hat der Heilige Stuhl, aber auch die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (ComECE) immer wieder das Gespräch mit den europäischen Institutionen gesucht oder Orientierungen für politisches Handeln auf europäischer Ebene angeboten. Deshalb war es das Anliegen der Kirche, den bisherigen informellen Dialog zwischen Kirchen und EU-Organen in einer europäischen Verfassung verankert zu sehen. Dass dies nach dem Konventsentwurf in Artikel I-51 Absatz 3 in Anerkennung der Identität und des besonderen Beitrags" der Kirchen und unabhängig von einem Dialog der EU-Institutionen mit der Zivilgesellschaft geschieht, macht den besonderen Charakter der Kirchen deutlich. Sie wollen nicht die Interessen einer bestimmten Klientel vertreten, sondern die Dominanz der Partikularinteressen gerade durchbrechen und das Gemeinwohl zur Geltung bringen. Bei der Bestimmung dessen, was als europäisches Gemeinwohl verstanden werden kann, kann insbesondere auch die katholische Soziallehre einen Beitrag leisten. Grundrechtecharta und Dialog zwischen Kirche und EU-Institutionen schaffen Räume für eine christliche Orientierung europäischer Politik. In die gleiche Richtung wirken die Ver-pflichtung der Union zur Achtung der Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen, wie sie im Grundrechte-Artikel II-22 formuliert ist, oder die Verpflichtung zur Achtung des Status von Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedsstaaten (Ar-tikel I-51). Aller Artikulation des Christlichen in der Politik liegt das Recht eines jeden Menschen auf Religionsfreiheit zugrunde. Diese grundlegende Errungenschaft europäischer kultureller und politischer Tradition ist nunmehr im Grundrechte-Artikel II-10 verankert. Die Europäische Union muss sich bewusst machen, auf welchen historischen, kulturellen und religiösen Grundlagen sie gebaut ist. Und sie muss diese in ihrer Politik zur Geltung kommen lassen. Hier ist das Christentum, die prägende Kraft Europas über Jahrhunderte, auch für die Zukunft gefordert. Der Europäische Verfassungsvertrag, der hoffentlich bald in Kraft tritt, schafft Raum für eine christliche Orientierung europäischer Politik. Dies ist Chance und Verpflichtung für die Kirche - und für die Politik. Bei all dem aber muss eines bewusst bleiben: Politik ist nicht absolut. Deshalb wäre es gut, wenn die europäische Verfassung einen Verweis auf die menschliche Verantwortung vor Gott enthielte. Ein Gottesbezug sichert den europäischen Bürgern einen Freiheitsraum, weil er Grenzen der Politik offenbar macht. Auch wenn ein solcher Bezug nun nicht im Verfassungstext formuliert ist, müssen wir uns bewusst bleiben, dass alles menschliche Handeln, alle Politik, auch alle europäische Politik sich vor den Menschen und im Letzten vor Gott zu verantworten hat. |