Pontifikalamt des Apostolischen Nuntius in Deutschland, Erzbischof Dr. Erwin Josef Ender, anlässlich der Dekanatswallfahrt in Herford mit Statio in der evangelischen Marienkirche und Eucharistiefeier vor der Wallfahrtskapelle im Garten des Altenheims Maria Rast am 18. September 2005 um 17.30 Uhr (Maria, Urbild und Mutter der Kirche I: Gen 3, 9-15.20; Joh 19, 25-27)

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Einführung:

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Für die Einladung, heute - am Sonntag nach dem Fest Kreuzerhöhung - hier in Herford anlässlich der traditionellen Dekanatswallfahrt das Pontifikalamt zu feiern und die Weihe der neuen Wallfahrtsmadonna vorzunehmen, sage ich Herrn Pfarrer Tielking herzlich Dank.

Mit ihm grüße ich in christlicher Verbundenheit Herrn Pfarrer Dr. Otto von der hiesigen evangelischen Marienkirche, von der die Wallfahrt alljährlich ihren Ausgang nimmt, sowie Herrn Dechant Pollmeier und danke beiden für ihre freundlichen Worte zur Begrüßung.

Ich grüße die Konzelebranten und die Wallfahrer aus dem Dekanat sowie alle, die zu diesem Festgottesdienst gekommen sind. Ich freue mich, dass auch zahlreiche Gläubige aus der Grafschaft Glatz unter uns sind - zusammen mit ihrem Großdechanten, Herrn Prälat Jung.

Es freut mich insgesamt die zahlreiche Teilnahme an unserem gemeinsamen Gebet, gerade auch an diesem wichtigen Wahlsonntag.

Jede Wallfahrt als Unterwegssein zu einem Gnadenort weist uns Menschen auf den Wegcharakter unseres Lebens hin: Wir sind Pilger auf Erden. Wallfahrtsorte sind Orte, die uns helfen, tiefer zu uns und zu Gott zu finden: durch das Gebet vor dem Gnadenbild, durch die Mitfeier der Pilgermesse, durch die Begegnung mit anderen Pilgern. So wird unser inneres Auge hellsichtig für die Wege, die Gott mit uns gehen will, auch wenn das Herz vielleicht noch zögert, sich auf ihn einzulassen. Der Blick auf Maria, deren Fürsprache wir erbitten, vermag uns den Himmel einen Spalt weit zu öffnen und so unser Herz für Gottes werbende Liebe weit zu machen.

Erbitten wir uns in diesem Gottesdienst gegenseitig von Gott die Gnade, dass das Wort Gottes, das wir gleich hören werden, und auch unser kurzer Pilgerweg zur Wallfahrtskapelle Maria Rast, auf den wir uns dann begeben, uns in der Verbundenheit mit ihm stärke, auf dass wir zu immer glaubwürdigeren Zeugen seiner Gegenwart in unserer Mitte werden.

Predigt:

Liebe Mitbrüder im priesterlichen Amt, liebe Ordensschwestern, liebe Schwestern und Brüder im Christus!

1. Dass Herford der älteste Marienwallfahrtsort nördlich der Alpen ist, war mir bis zur Einladung von Herrn Pfarrer Tielking zu diesem feierlichen Gottesdienst mit Ihnen noch nicht bekannt. Es freut mich, dass die lange Tradition der Marienverehrung auch in unseren Tagen hier weiter lebendig ist und gemeinsam gepflegt wird. Ich bin sicher, dass der heutige Tag mit der Weihe der Doppelmadonna mit dem Titel „Maria Mutter der Kirche“ mit dazu beitragen wird, dass Herford auch als Marienwallfahrtsort noch weiter bekannt wird und immer mehr Menschen auch von außerhalb des Dekanates sich am Sonntag nach Kreuzerhöhung auf den Weg machen, um der „Mutter der Kirche“ ihre persönlichen Anliegen wie auch die großen Anliegen der Kirche und der Menschheit anzuempfehlen - auch Menschen, die religiös nicht in der katholischen Kirche beheimatet sind. Die Situation in Herford lädt unsere getrennten Glaubensbrüder und -schwestern geradezu dazu ein, da ja der Ausgangspunkt dieser Wallfahrt diese evangelische Kirche ist. Sie bewahrt in ihren Mauern den Rest des Baumes, an dem einst der Bettler, von dem in den alten Berichten über den Ursprung der Wallfahrt nach Herford die Rede ist, nach der Weisung der Gottesmutter das aus einem Ast geformte Kreuz befestigte. Das Ziel der Wallfahrt ist dann die Wallfahrtskapelle auf dem Gelände des Altenwohnheims Maria Rast, wo die Gottesmutter unter dem Titel „Maria Wegweiserin“ verehrt wird.

2. Wenn nun heute die neuen Madonnenstatuen auf den Titel „Mutter der Kirche“ geweiht werden, stellt sich die Frage: Was ist mit diesem Titel „Maria Mutter der Kirche“ näherhin gemeint? Der Titel wird zum ersten Mal im elften Jahrhundert auf Maria angewandt und findet sich seitdem immer wieder in der Marienverehrung. Einen offiziellen Rang bekam er, als Papst Paul VI. in der Schlusssitzung der dritten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils am 21. November 1964 Maria feierlich den Titel „Mutter der Kirche, des ganzen christlichen Volkes, der Gläubigen und der Hirten“ verlieh.

Und was sagt dieser Titel inhaltlich über Maria selbst aus? Dass Maria Mutter der Kirche ist, ist in ihrer Gottesmutterschaft grundgelegt. Der Sohn Gottes, der das Haupt seines mystischen Leibes - also der Kirche -werden sollte, wird Mensch in ihrem Schoß. Was in der Menschwerdung schon grundgelegt ist, wird voll Wirklichkeit, als Jesus das Werk der Erlösung vollendet. Vom Kreuz herab hat Jesus die Mutterschaft Marias, die bis dahin auf ihn allein bezogen und beschränkt war, ausgeweitet auf Johannes und in ihm auf die Kirche, auf alle Glaubenden: „Frau, siehe, dein Sohn“ - „siehe, deine Mutter“. Maria - seine Mutter - ist in Johannes uns allen zur Mutter gegeben. Wir haben es im Evangelium soeben gehört. Maria hat in der Kirche von Anfang an eine besondere Verehrung erfahren. So heißt es in der Apostelgeschichte, dass die Apostel nach der Himmelfahrt Jesu einmütig im Gebet verharrten „zusammen mit den anderen Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu“ (Apg 1, 14). Auch nach ihrer Aufnahme in den Himmel bleibt Maria den Gläubigen mütterliche Helferin und Fürsprecherin.

3. Was nun die neuen Madonnenfiguren betrifft, die von dem Bildhauer Johannes Niemeier geschaffen worden sind und nachher geweiht werden, so zeigt die eine Maria als schwangere Frau: Menschen, die durch die Taufe zu neuem Leben wiedergeboren und in die Kirche als den mystischen Leib Christi aufgenommen werden, werden von Maria als Mutter Christi, als Mutter der Kirche und somit als Mutter aller Gläubigen mit ihrer mütterlichen Sorge und Liebe umfangen und auf ihrem Lebensweg begleitet. Marias Muttersein hinsichtlich der Kirche wirkt sich - wie Papst Paul VI. sagte - darin aus, „dass sie als neue Eva, als Mutter der Kirche, für die Glieder Christi ihre mütterliche Aufgabe im Himmel fortsetzt“. Die vielen Wallfahrtsorte von Lourdes über Fatima, Tschenstochau, Guadalupe, Medjugorje, Kevelaer bis nach Altötting, Werl und Neviges - um nur einige zu nennen -, die wie der hiesige oft in Erscheinungen der Gottesmutter ihren Ausgangspunkt haben, geben ein beredtes Zeugnis von ihrem Wirken in der Kirche. Wie viele Menschen haben im Laufe der Jahrhunderte an diesen Gnadenorten nicht die mütterliche Hilfe Marias in ihren Anliegen erfahren - bis hin zur Neuausrichtung ihres Lebens und zu Bekehrungen! Die zahlreichen Zeichen des Dankes etwa in Form von Votivtafeln sind an den Wallfahrtsorten beeindruckende Zeugnisse dafür.

Die andere Madonnenstatue von Niemeier zeigt Maria, wie sie dem betrachtenden Beter Christus mit einer geöffneten Bibel zeigt: Sie weist auf den hin, der die Wahrheit des Vaters verkündet, die er der Kirche als Frohbotschaft für alle Menschen der kommenden Zeiten anvertraut. So ist sie in der Tat „Wegweiserin“: Sie will alle Menschen zu Christus führen, damit sie in ihm das Leben in Fülle finden.

4. Maria als die „Mutter der Kirche“ verehren zu dürfen, ist eine besondere Einladung Gottes an uns. An ihr erkennen wir die Wege seiner Liebe, die wir sonst nicht einmal erahnen könnten. Zugleich ist uns Maria ein leuchtendes Vorbild für unseren Wandel in der Gegenwart Gottes. Wenn wir uns vom Geiste Marias prägen lassen, hat das Auswirkungen auf unser Denken, auf unsere Gesinnung und unser Verhalten. Im jetzigen „Jahr der Eucharistie“ ist es besonders angezeigt, daran zu erinnern, dass der verstorbene Papst Johannes Paul II. im Jahre 2003 in seiner Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ von Maria gesagt hat, dass sie in ihrem ganzen Leben eine „eucharistische“ Frau gewesen ist. Papst Benedikt XVI. hat dieses Wort seines Vorgängers in seiner Predigt am vergangenen Fronleichnamsfest in Rom aufgegriffen und gesagt: „Maria lehrt uns, was es heißt, in Gemeinschaft mit Christus zu treten: Maria hat ihr eigenes Fleisch, ihr eigenes Blut Jesus gegeben und ist zum lebendigen Zelt Gottes geworden, als sie sich im Körper und im Geist von seiner Gegenwart durchdringen ließ. Wir bitten sie, unsere heilige Mutter, dass sie uns dabei helfe, unser ganzes Sein immer mehr der Gegenwart Christi zu öffnen.“

5. Ich möchte hier auf drei Haltungen hinweisen, in denen sich die Orientierung an Maria besonders ausprägt:

Erstens: Der marianisch geprägte Mensch weiß, dass er ein empfangender ist. Er weiß, dass Gott in seiner Liebe der Geber alles Guten ist. Darum ist er bereit, auf diese Liebe Gottes mit ganzem Herzen zu antworten. Wie Maria auf die Botschaft des Engels mit ihrem „Fiat - Mir geschehe nach deinem Wort“ glaubend ihr Ja zum Plane Gottes gesagt hat, so ist unser „Amen - Ja, so ist es!“ beim Empfang der Eucharistie die Antwort unseres Glaubens: Denselben Herrn, der einst in Maria Mensch geworden ist, empfangen wir nun unter der Gestalt des Brotes. Es ist derselbe, der sich einst im Kreuzesopfer dem Vater für unser aller Heil hingegeben hat. Von ihm soll unser Leben immer mehr durchdrungen werden und Orientierung erfahren.

Zweitens: Wer aus der Verbundenheit mit Christus lebt, der fragt nach Gottes Plan für sein Leben, nach dem Auftrag, den er für die Menschen erfüllen soll. Er weiß, dass dieser Plan ein Plan der Liebe ist: der Liebe Gottes zu ihm, aber auch zu den Mitmenschen, für die Gott ihn in Dienst nehmen will: dass zum Beispiel der Ehepartner in seiner selbstlosen Liebe etwas von der Liebe Gottes erkennen kann - dass Kinder in seiner Zuwendung und Sorge, die er ihnen schenkt, erahnen, wie sehr sie in Gott geborgen sind - dass Menschen in den Pfarrgemeinden sich durch sein Engagement zum Mittun ermutigen lassen. Wo Menschen den Glauben im Geiste Marias authentisch leben, da werden auch andere sich prüfen, wohin Gott sie ruft, und gegebenenfalls bereit sein, ihm als Priester, Ordenschristen oder in anderen kirchlichen Berufen zu dienen. Wir alle wissen, dass es immer auch Menschen geben muss, die durch ihr stellvertretendes Gebet anderen für ihre Aufgaben, Sorgen und Nöte von Gott Kraft erbitten auf ihrem Lebensweg - zusammen mit „Maria, der Wegweiserin“, die auf der Hochzeit zu Kana den Dienern in ihrer Notlage die rechte Weisung gegeben hat und seit der Himmelfahrt mit den Jüngern ihres Sohnes um das Kommen des Heiligen Geistes betet.

Wer in der Offenheit für das Wirken des Heiligen Geistes lebt, wer sich vertrauensvoll in den Dienst Gottes und um seinetwillen in den Dienst der anderen rufen lässt, der wird - und damit komme ich zum dritten Punkt -, von der Haltung des Dankens geprägt sein. Schauen wir auf die vielen Menschen - unter ihnen besonders viele Jugendliche -, die in den Tagen vor dem Tod von Papst Johannes Paul II. in dankbarer Verbundenheit mit ihm nach Rom fuhren und auf dem Petersplatz betend an seiner Seite ausharrten, oder auf die Teilnehmer des Weltjugendtages in Köln, die in der Freude ihres Glaubens in der Vigilfeier - und vorher in den verschiedenen Kirchen - vor Christus niederknieten, um ihn im Allerheiligsten Altarssakrament anzubeten.

6. Exemplarisch findet sich diese Haltung der Dankbarkeit im Magnificat, dem Lobgesang der Gottesmutter im Hause ihrer Verwandten Elisabeth, mit dem auch wir, wenn wir auf unser bisheriges Leben schauen, Gottes große Taten besingen können:

„Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. ...

Der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig.

Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten.“ Amen! +