Pontifikalamt des Apostolischen Nuntius in Deutschland, Erzbischof Dr. Erwin Josef Ender, zur Eröffnung der Jubiläumsfestwoche „550 Jahre Benediktiner auf dem Heiligen Berg - 250 Jahre Barockisierung der Wallfahrtskirche“ in Andechs am 2. Oktober 2005 um 10.15 Uhr (Hochfest der Heilige Schutzengel, der Patrone der Bayerischen Benediktinerkongregation: Ex 23, 20-23a; Mt 18, 1-4.10)

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Einführung:

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Ich danke Herrn Abt Dr. Johannes Eckert für die Einladung, zu Beginn dieser Jubiläumsfestwoche des Klosters Andechs mit Ihnen auf dem Heiligen Berg ein Pontifikalamt zu feiern, und auch für seine freundlichen Worte der Begrüßung. Mit ihm grüße ich die Konzelebranten, alle Patres und Fratres des Klosters sowie alle Gläubigen, die sich zur Mitfeier dieses Festgottesdienstes hier versammelt haben.

Das gesamte Jubiläum des Klosters Andechs in diesem Jahr steht unter dem Leitwort „550 Jahre Benediktiner auf dem Heiligen Berg - 250 Jahre Barockisierung der Wallfahrtskirche“. Der heutige Tag - der liturgische Gedenktag der Schutzengel - hat bei Ihnen dazu noch eine besondere Bedeutung, da die Bayerische Benediktinerföderation sich ihrem Patronat anvertraut hat.

Wir alle wollen uns in dieser Eucharistiefeier in besonderer Weise dem Schutz der heiligen Schutzengel anempfehlen.

Bitten wir, dass der Herr uns unsere Schuld vergebe und uns so für die Feier der heiligen Geheimnisse bereite.

Predigt:

Sehr geehrter Herr Abt, liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst, liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

1. Es gibt in dem an Klöstern und Wallfahrtsorten wahrlich nicht armen Bayern wohl keinen Wallfahrtsort, der auf eine so lange Geschichte und zugleich auf eine so breite Wallfahrtstradition zurückblicken kann wie Andechs. Die sog. Herrenreliquien - Partikel von Dornenkrone, Geißelrute, Spottzepter, Schweißtuch und Kreuz - die auf Christus verweisen und den Grundstock des „Heiltums“ des „Heiligen Schatzes“ von Andechs bilden, wurden der Überlieferung nach im 10. Jahrhundert von einer Pilgerreise ins Heilige Land nach hier gebracht - die Heiligen Drei Hostien, die auf die heiligen Päpste Gregor den Großen und Leo IX., also bis ins sechste bzw. 11. Jahrhundert, zurückgehen sollen, sind schon 1128 Ziel einer Wallfahrt - hinzu kommt die Marienwallfahrt seit dem 16. /17. Jahrhundert - und seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auch die Hedwigswallfahrt. Doch nichts von all dem bildet den Anlass für Ihre Jubiläumsfeiern in diesem Jahr. Hierbei geht es vielmehr um zwei runde Gedenktage, dass nämlich die Benediktiner 550 Jahre auf dem Heiligen Berg sind und die Barockisierung der Wallfahrtskirche vor 250 Jahren abgeschlossen wurde. Zu diesem Jubiläum möchte ich dem Kloster Andechs herzliche Glück- und Segenswünsche aussprechen und der Hoffnung Ausdruck geben, dass auch in Zukunft von hier aus reicher Segen über das Land und seine Bewohner ausgehe.

2. Wenn uns auch all das bei dieser Feier gegenwärtig ist, über das Sie bei früheren Jubiläumsgottesdiensten gewiss schon viel gehört und meditiert haben, so steht doch am heutigen Festtag etwas anderes in unserem Blickfeld: Die Bayerische Benediktinerkongregation begeht - wie ich eingangs schon erwähnt habe - an diesem Schutzengelfest ihr Patronatsfest und lenkt damit unseren Blick auf einen Aspekt im Lebens der Mönche, der für sie eine zentrale Bedeutung hat, der aber auch für alle Christen wesentlich ist. Am Anfang des Prologs der Regel des hl. Benedikt steht die grundlegende Ermahnung: „Höre, mein Sohn, auf die Weisungen des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat!“ (RB Prolog 1). Die Aufforderung zum Hören als Grundhaltung des Glaubenden ist alt und geht bis ins Alte Testament zurück: „Höre, Israel!“ ist schon dort eine zentrale Weisung. Die bildhafte Aufforderung, das Ohr des Herzens zu neigen, zielt letztlich auf die Beziehung zu Christus und auf ein Leben nach seinen Weisungen. Wie kann es gelingen, immer mehr ein Hörender zu werden? Wesentlich ist dafür das Bewusstsein, vor Gott zu stehen, der allgegenwärtig ist (vgl. RB 7, 1). Der Mönch steht zugleich in einer besonderen Weise vor dem Antlitz der Engel: „Vor dem Antlitz der Engel will ich dir Psalmen singen“ (Ps 138, 1). Der Mönch ist hineingestellt in die Teilnahme am himmlischen Lobpreis. Das Chorgebet hat darum immer auch eine himmlische Dimension. Himmlisches und irdisches Gotteslob - das der Engel und das der Menschen - vereinigen sich (vgl. RB 19, 5f). Zugleich kommt es den Engeln, „die uns zugewiesen sind“, zu, „täglich“ - wie es in der Regel des hl. Benedikt weiter heißt - „dem Herrn über unsere Taten und Werke zu berichten“ (RB 7, 28).

Wenn das Tun der Mönche in einer so engen Verbindung mit dem Lobpreis der Engeln steht und die Engel das Antlitz Gottes schauen und zugleich dem Tun der Mönche zugeordnet sind, nimmt es nicht wunder, dass die Bayerische Ordensprovinz sich in besonderer Weise unter die Obhut der Schutzengel gestellt und sie zu ihren Patronen erwählt hat.

3. Was ich hier über die Schutzengel in ihrer Beziehung zu den Mönchen sage, gilt weitgehend für alle Christen. Im heutigen Festevangelium heißt es am Schluss: „Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters.“ Zwar geht es bei dieser Begebenheit zunächst nur um ein Kind, das Jesus in die Mitte stellt. Aber dieses Kind steht für alle, die in der von Jesus geforderten Haltung vor Gott stehen: Der Engel, der dem Menschen zum Gefährten gegeben ist - „sein“ Engel -, sieht allezeit das Antlitz des Vaters. Sein Anliegen ist es, dass der Wille Gottes, der im Himmel von den Engeln verwirklicht wird, auch von den Menschen auf Erden getan wird. Dem dient es, dass der Schutzengel den Menschen nicht nur vor äußeren Gefahren schützt, sondern ihm auch hilft, sein Leben nach Gottes Willen zu führen und zu gestalten. Der Engel weiß um Licht und Schatten im Inneren des Menschen, um die Verwirrung in seinem Herzen, um seine dauernde Versuchung, wie Gott sein zu wollen, ja, um seine Entscheidungen, die sein ewiges Schicksal bestimmen. Er erspart ihm nicht Leid und Tod, seine Aufgabe ist es vor allem, sein ewiges Heil zu hüten, d. h. ihn in der Liebe und im Erbarmen Gottes zu halten.

4. Schwestern und Brüder im Herrn, die Feier des Schutzengelfestes lädt uns ein, uns von ihnen her wieder neu bewusst zu werden, welche Wege Gott mit uns geht, um unser Heil zu wirken. An uns ist es, uns von der Liebe Gottes anrühren zu lassen und auf sie durch unser Leben zu antworten. Die Formen, in denen die einzelnen Gläubigen ihre Antwort geben, sind sicher den Lebensumständen entsprechend sehr verschieden. Eine könnte darin bestehen, dass wir selbst uns bemühen, für einen bestimmten Menschen die Funktion eines Schutzengels zu übernehmen: etwa indem wir den Entscheidungsweg eines jungen Menschen, der sich vielleicht mit dem Gedanken trägt, in eine Ordensgemeinschaft einzutreten oder Priester zu werden, in den notwendigen Klärungsprozessen und auch in den Anfechtungen durch regelmäßiges Gebet unterstützen oder auch solche, die schon auf dem Weg sind. Andere können Jugendlichen, denen es an Durchhaltevermögen fehlt, wenn es in der Ausbildung oder im Studium schwierig wird, durch Ermutigung und konkreten Rat eine entscheidende Hilfe geben. Viele Eltern sind durch ihr regelmäßiges Gebet für ihre Kinder mit Selbstverständlichkeit in diesem Sinne wahre Schutzengel.

5. Immer geht es darum, dass in uns die Überzeugung lebendig ist, dass Gott mit uns rechnet, und dass wir wissen, dass bestimmte Dinge nur dann geschehen, wenn wir sie tun. Wer sich so von Gott in Dienst nehmen lässt, wird dann die Erfahrung machen, dass Gott da, wo ein Mensch seine eigenen Pläne den Plänen Gottes unterordnet, sich an Großzügigkeit nicht übertreffen lässt. Die verschiedenen Wallfahrten nach Andechs, von denen ich am Anfang sprach, führen Menschen mit unterschiedlichen Anliegen auf den Heiligen Berg. Allen gemeinsam ist das Wissen, dass sie hier Menschen treffen, an denen ihnen etwas von der jenseitigen Welt, von der Welt Gottes, aufleuchtet und begegnet. Das gehört zu dem Dienst, den die Mönche ihnen leisten, zu dem Schutzengeldienst, auf den sie vertrauen. Er nährt sich aus der Feier der Eucharistie, in der der Herr immer wieder neu leibhaftig unter uns gegenwärtig ist.

6. Liebe Schwestern und Brüder, als Apostolischem Nuntius, der aus Schlesien stammt, werden Sie mir gewiss gern gestatten, bei meinem ersten Besuch an diesem Gnadenort nun auch noch kurz an die Heilige Hedwig von Schlesien zu erinnern, die von ihrem Geburtsort her auch Hedwig von Andechs genannt werden könnte. Hier in Andechs stehen wir an der Wiege dieser „unschätzbaren Perle“ und „starken Frau“, wie sie Papst Clemens bei der Seligsprechung im Jahre 1267 genannt hat. Hier auf der Herrenburg mit ihren Mauern und Türmen, ihrem Blick über Wiesen und Wälder hoch über dem Ammersee thronend, ist Hedwig herangewachsen. In den Reliquiaren der Burgkapelle war sie von Kindesbeinen an eingebunden in die Gemeinschaft der Heiligen.

Die weitere Lebensgeschichte der Heiligen ist Ihnen gewiss bekannt. Ihre Vermählung und ihr Wechsel nach Schlesien mit nur dreizehn Jahren sah sie als Einladung Gottes an, ihre Berufung zu entdecken und hineinzuwachsen in die Aufgabe einer Herzogin in einem fernen Land. Diese erkannte sie schließlich in der besonderen Liebe und Fürsorge, die sie fortan im Geiste des Evangeliums großzügig den Kranken, Armen und Schwachen schenken wollte. Hedwig liebte die Armut und lebte sie selbst. Nach dem Tod ihres Gatten trat sie nicht in ein Kloster ein, weil sie sich so in ihren Pflichten als Landesmutter noch intensiver an die Notleidenden und Kranken und damit an Christus binden wollte, eingedenk seines Wortes: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

7. Die Landesmutter, der die Nächstenliebe als oberstes Gebot galt, war zugleich eine engagierte Friedensstifterin. Zu der polnischen Bevölkerung, die nur spärlich das Land besiedelte, waren Bauern, Handwerker, Mönche und Künstler aus allen deutschen Stämmen, vor allem aus Franken und Flamen, ins Land gekommen. Die Spannungen, die sich zwischen so verschiedenen Volksgruppen entwickelten, mussten überwunden werden. Hier sah die Herzogin eine ihrer Aufgaben und ihre Verantwortung für die Menschen, die in ihrem Land lebten. Ob es Deutsche waren oder Polen, ihr galt jeder gleich. Jeder Bedürftige und Unterdrückte konnte ihrer Fürsprache und Unterstützung sicher sein.

Mit ihrem Einsatz für den Frieden wirkte Hedwig über den sozialen Bereich hinaus in die Politik hinein. Die Friedenspolitik dieser Frau steht bis heute über der deutsch-polnischen Aussöhnung. Es ist ein wunderbares Geschenk der göttlichen Vorsehung, dass im Jahre 1978 an ihrem Fest der erste polnische Papst der Kirchengeschichte, Johannes Paul II. - besonders auch auf die Empfehlung deutscher Kardinäle hin - gewählt wurde, auf den dann sogar noch ein deutscher Papst, Benedikt XVI., gefolgt ist. Als sich auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil polnische und deutsche Bischöfe trafen, um konkrete Schritte der Versöhnung zwischen ihren Völkern zu unternehmen, stellten sie dieses Vorhaben unter das Patronat der hl. Hedwig. Diese Schritte aufeinander zu mündeten in einem gemeinsamen Weg des Vertrauens, auf den polnische und deutsche Bischöfe am vergangenen Wochenende in Breslau dankbar zurückgeblickt und den sie durch eine weitere Erklärung bekräftigt haben. Auch in Zukunft wollen wir auf diesem Weg weitergehen! Die regelmäßigen Tagungen, die hier in Andechs immer wieder Persönlichkeiten aus Kirche und Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zusammenführen, um Visionen für ein christliches Europa zu entwickeln, haben in der hl. Hedwig eine renommierte Schirmherrin.

Auch beim jetzigen Jubiläum erinnert uns die hl. Hedwig daran, dass Andechs ein „Heiliger Berg“ ist und bleiben soll. Die Benediktiner tragen dazu bei, das unzählige Pilger diesen geschichtsträchtigen Ort gern besuchen. Viele Männer und Frauen, über die konfessionellen Grenzen hinweg, tragen ihre Sorgen und Nöte auf den Heiligen Berg. Auch in Zukunft will Andechs eine Quelle und Tankstelle sein, nicht nur für durstige Kehlen, sondern auch für die Seele. Möge das geistige Zentrum Andechs über den Heiligen Berg weit hinausstrahlen nach Bayern, nach Deutschland und nach ganz Europa. - Amen!+