Pontifikalamt des Apostolischen Nuntius in Deutschland, Erzbischof Dr. Erwin Josef Ender, bei der Fronleichnamswallfahrt nach Kloster Marienstatt (22. Juni 2006)

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Einführung:

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Vieles von dem, was für die Menschen vergangener Zeiten Geheimnis war, ist im Laufe der Zeit wissenschaftlich erforscht und erklärt worden. Und es ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Geheimnisse im Bereich der Natur weiter abnehmen wird.

Anders ist es im Bereich des Glaubens. Die freien Entscheidungen der Liebe Gottes zu uns Menschen sind Geheimnisse, denen wir uns nur im Hören auf Gottes Wort und im Gebet annähern können. Und diese Geheimnisse sind es, die uns im Leben letztlich mit Hoffnung und Zuversicht erfüllen.

Im Mittelpunkt unserer heutigen Wallfahrt zum Kloster Marienstatt - acht Tage nach Fronleichnam - steht die Verehrung Christi in der heiligen Eucharistie. Wir sind hier versammelt, weil wir Jesus Christus Dank sagen wollen für die Nähe, die er uns in diesem Sakrament schenkt, und um unsere persönlichen Anliegen und die der Kirche und der Welt vor ihn zu tragen.

Ich freue mich, dass wieder so viele Pilger heute nach Marienstatt gekommen sind, und grüße sie alle sehr herzlich. Ein besonderer Gruß gilt dem neuen Abt dieses Klosters, P. Andreas Range. Ich danke ihm für seinen herzlichen Willkommensgruß - und seinem Vorgänger im Amt, Altabt Thomas Denther dafür, dass er mich schon vor längerer Zeit zu diesem Gottesdienst eingeladen hat.

Bitten wir nun zu Beginn dieser Eucharistiefeier Gott um Vergebung unserer Sünden.

Predigt:

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

1. Auf den Ruf des Priesters nach der Wandlung „Geheimnis des Glaubens“ antwortet die Gemeinde: „Deinen Tod, o Herr; verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Tod und Auferstehung Jesu Christi - das Geschehen, in dem unser Heil gründet - werden in jeder Eucharistiefeier leibhaftige Gegenwart unter uns. Der Herr selbst, der Mittler zwischen Gott und den Menschen, ist gegenwärtig unter den Gestalten von Brot und Wein und will uns Speise sein auf unserem Glaubensweg durch die Zeit unserer irdischen Pilgerschaft. Zugleich gibt uns der Empfang Christi unter den sakramentalen Zeichen in verborgener Weise schon einen ersten Anteil an dem kommenden Leben in der Herrlichkeit des Himmels: „Wer von diesem Brote ist, wird in Ewigkeit leben.“ Und an anderer Stelle des heutigen Evangeliums heißt es: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat des ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken an Letzten Tag.“

2. So ist die Feier der Eucharistie als der Höhepunkt der Liturgie gleichsam die Quelle, aus der der Kirche ihre Kraft zuströmt. Was liegt da näher, als dass die Gläubigen dem Herrn, der in ihrer Mitte ist, in besonderer Weise Verehrung und Anbetung zuteil werden lassen? Das haben sie von Anfang an getan. Diese Verehrung und Anbetung der heiligen Eucharistie bekam im 13. Jahrhundert eine ausdrückliche Gestalt in der Feier des Fronleichnamsfestes, mit dem meist auch eine Prozession verbunden ist. Der Leib Christi wird feierlich durch die Straßen des Dorfes oder der Stadt getragen. Wir alle wissen, wie viel Mühe und Liebe darauf verwendet wird, um durch Schmuck der Häuser und Prozessionswege - oft auch in der Form von Blumenteppichen - die Verehrung der Gläubigen zum Ausdruck zu bringen.

3. Was geschieht nun, wenn ein Mensch im Empfang der Eucharistie oder bei der Anbetung Christus sein Herz öffnet? Die Begegnung mit ihm im Sakrament vertieft unsere Gemeinschaft mit unserem Herrn und weckt den Wunsch, immer vollkommener auf Christi Liebe zu antworten: in der Bereitschaft, alles aus unserem Herzen zu entfernen, was seiner Liebe widerspricht. Dabei ist uns der regelmäßige Empfang des Bußsakramentes eine große Hilfe, schenkt er uns doch neben der Vergebung der Sünden auch Gottes Hilfe, die uns unser entschlossenes Fortschreiten auf seinen Wegen erleichtert. Aus der Gemeinschaft mit Christus öffnet sich der Mensch für den Plan, den Gott für sein Leben hat - in der Wahl des Lebensstandes und des Berufes - und schließt auch die Möglichkeit des Priester- oder Ordensberufes nicht aus. Immer mehr werden die Anliegen Christi und der Kirche zu seinen eigenen. Im Wissen um die Kraft des stellvertretenden Gebetes wird er das Leben der Mitmenschen, insbesondere der eigenen Kinder und Angehörigen, mit seinem Gebet begleiten. Er wird auch bereit sein, sich für ehrenamtliche Aufgaben in der Gemeinde mitverantwortlich einzusetzen. Wo der Einzelne sich in der Gemeinschaft Gleichgesinnter weiß, ist ihm das oft auch ein Stütze, gerade dann, wenn einmal Zweifel oder Verunsicherung ihn plagen und sein Blick auf Christus verdunkelt ist.

4. Solche Ermutigung und Hilfe erfahren wir in besonderer Weise, wenn wir auf die schauen, die ihren irdischen Pilgerweg schon vollendet haben. Papst Johannes Paul II. hat eine große Schar von Menschen selig- und heiliggesprochen. In ihnen will uns die Kirche zeigen, wie wir in der Nachfolge Christi nach dem Willen Gottes leben sollen. Die Seligen und Heiligen waren Menschen, die nicht selbstsüchtig ihr eigenes Glück suchten, sondern bereit waren, sich selbstlos an Gott und die Mitmenschen hinzugeben, weil sie vom Licht Jesu Christi getroffen wurden, wie es Papst Benedikt in der Vigilfeier des Weltjugendtages in Köln betont hat. Er fuhr dann fort: „Sie (die Heiligen) zeigen uns den Weg, wie man glücklich wird, wie man es macht, ein Mensch zu sein. Im Auf und Ab der Geschichte waren sie die wirklichen Erneuerer, die immer wieder die Geschichte aus den dunklen Tälern herausgeholt haben, in denen sie immer neu zu versinken droht, und immer wieder so viel Licht in sie brachten, dass man dem Wort Gottes, wenn vielleicht auch unter Schmerzen, zustimmen kann, der am Ende des Schöpfungswerkes gesagt hatte: Es ist gut.“ Der Papst nannte namentlich Gestalten wie Benedikt, Franz von Assisi, Teresa von Avila, Ignatius von Loyola, die Ordensgründer des 19. Jahrhunderts, die der Sozialen Bewegung ihr Herz gegeben haben, aber auch Heilige unserer Zeit: Maximilian Kolbe, Edith Stein; Mutter Theresa und Pater Pio. Nur von den Heiligen, nur von Gott her kommt die wirkliche Revolution, die die Welt grundlegend verändert. Der Papst erläuterte dies mit den Worten: „Wir haben im vergangenen Jahrhundert Revolutionen erlebt, deren gemeinsames Programm es war, nicht mehr auf Gott zu warten, sondern die Sache der Verfassung der Welt selbst in die Hand zu nehmen. Und wir haben gesehen, dass damit immer ein menschlicher, ein parteilicher Standpunkt zum absoluten Maßstab genommen wurde. Das Absolutsetzen dessen, was nicht absolut ist, heißt Totalitarismus. Er macht den Menschen nicht frei, sondern entehrt ihn und versklavt ihn. ... Die wirkliche Revolution besteht allein in der radikalen Hinwendung zu Gott, der das Maß des Gerechten und zugleich die ewige Liebe ist.“ Wenn das so ist, dann stellt sich uns die Frage: Können wir es da verantworten, wenn wir das Angebot Gottes in unserem Leben - dem Leben, von dem unsere Ewigkeit abhängt, unser Heil und u. U. auch das Heil anderer - nicht entschlossen mit beiden Händen ergreifen und uns ohne Vorbehalt von ihm ergreifen lassen? Die Heiligen haben ihr Leben mit den Augen Gottes betrachtet und dann mit der ganzen Kraft ihres Herzens die Liebe Gottes zu erwidern versucht.

5. Schwestern und Brüder, „Gott ist die Liebe“, das ist der Titel der ersten Enzyklika unseres Heiligen Vaters. Wie sich diese Liebe Gottes äußern kann, zeigt uns die Erste Lesung aus dem Buch Deuteronomium. Sie macht deutlich, wie Gott in seiner Liebe für sein Volk sorgt und in der Zeit der Wüstenwanderung um das Herz der Menschen ringt, wie er ihnen in allen Nöten mit seiner Hilfe zur Seite steht. Er weiß um die Versuchbarkeit des menschlichen Herzens und umwirbt es mit seiner väterlichen Fürsorge und Liebe. Wir wissen aus den anderen Schriften des Alten Testamentes, wie treu Gott zu seinem Volke steht und es durch die Propheten zur Bundestreue mahnt. Zuletzt - als die Fülle der Zeit gekommen ist - sendet er seinen ewigen Sohn: Gott wird Mensch für uns. In der Hingabe seines Lebens für uns am Kreuz und seiner Auferstehung von den Toten eröffnet er uns den Zugang zu einer einzigartigen Verheißung und einem unvorstellbaren Glück: Wir Menschen können und sollen Anteil erhalten an seinem göttlichen Leben - durch Glauben und Taufe. „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet werden.“ Alle Sakramente sind darauf ausgerichtet, dass sich dieses neue Leben in uns entfaltet.

Umso bedauerlicher ist es darum, wenn auch nicht wenige Katholiken zögern und unentschlossen sind, was die eigene religiöse Praxis und auch die Hinführung ihrer Kinder zu den Sakramenten betrifft. Recht verstandene Elternliebe blendet die ewige Bestimmung der Kinder nicht aus, sondern gibt ihnen gerade auch in der frühen Phase kindlicher Entwicklung Hilfestellung für eine gute Hinführung zum Glauben. Eine wachsende Zahl von Eltern scheint jedoch wegen einer spärlichen oder völlig fehlenden eigenen Glaubenspraxis dazu leider kaum noch fähig zu sein; denn die wirksamste Hinführung geschieht durch das Teilnehmenlassen der Kinder am eigenen Glauben. In der heutigen Gesellschaft gibt es zahlreiche schädliche Tendenzen und Einflüsse, die den Glauben der Menschen verunsichern und gefährden. Papst Johannes Paul II. hat 2003 in einem Schreiben, das sich mit der Situation der Kirche in Europa befasst, zwei Tatsachen als besonders besorgniserregend hervorgehoben: den Verlust des christlichen Gedächtnisses und Erbes und damit einhergehend eine Art praktischen Agnostizismus und religiöse Gleichgültigkeit. Diese negative Grundeinstellung zum christlichen Glauben wird auch von vielen Medien vertreten und gefördert. Dennoch scheint sich hier - zumindest bei einem Teil der Jugend - inzwischen eine entgegengesetzte Tendenz anzubahnen. Denken wir zum Beispiel an die positiven Erfahrungen mit den Weltjugendtagen, an die große Anteilnahme von Jugendlichen an der Krankheit und am Sterben von Papst Johannes Paul II. und an der Wahl und dem Wirken seines Nachfolgers Papst Benedikt XVI., oder auch an die 400.000 Menschen, die vor drei Wochen beim Treffen der Neueren Geistlichen Gemeinschaften auf dem Petersplatz in Rom mit dem Heiligen Vater die Pfingstvigil feierten.

6. Gerade hier bewahrheitet sich, was Papst Benedikt in der Eucharistiefeier zu seiner Amtseinführung sagte: „Wer Christus einlässt, dem geht nichts, nichts - gar nichts verloren von dem, was das Leben frei, schön und groß macht. Nein, erst in dieser Freundschaft öffnen sich die Türen des Lebens. Erst in dieser Freundschaft gehen überhaupt die großen Möglichkeiten des Menschseins auf. ... Christus nimmt nichts, und er gibt alles. Wer sich ihm gibt, der erhält alles hundertfach zurück.“

Wie sehr das zutrifft, können wir an Maria ablesen, die hier in Marienstatt mit einem Vesperbild verehrt wird, zu dem in der Wallfahrtszeit immer wieder Prozessionen und Einzelpilger kommen: Menschen, die um ihre Hilfe bitten. Papst Johannes Paul II. sagt von Maria, sie sei in ihrem ganzen Leben eine „eucharistische Frau“ gewesen. Sie hatte dem Wort Gottes gegenüber die Haltung der reinen Verfügbarkeit und Hingabe: So kann sie auch uns Stütze und Wegweiserin dafür sein, dass wir dem „Geheimnis des Glaubens“ in der Eucharistiefeier in der rechten Weise begegnen.

Mit Maria, der Mutter der Kirche, die uns als Vorbild des Glaubens und als Helferin auf dem Pilgerweg unseres Lebens Geleit gibt, wollen wir in dieser Eucharistiefeier unsere Anliegen dem Herrn anvertrauen, dass er als unser Bruder und Anwalt sie vor den Vater bringe. Wir dürfen es in der Gewissheit tun, dass keines unserer Gebete vergeblich ist, wie es in der folgenden Liedstrophe hoffnungsvoll ausgedrückt wird:

Guter Hirt, du Brot des Lebens,
wer dir vertraut, hofft nicht vergebens,
geht getrost durch diese Zeit.
Die du hier zum Tisch geladen,
ruf auch dort zum Mahl der Gnaden
in des Vaters Herrlichkeit. Amen. +