Eucharistiefeier des Apostolischen Nuntius in Deutschland, Erzbischof Dr. Erwin Josef Ender, beim 96. Deutschen Katholikentag in Saarbrücken am 26. Mai 2006 in der Pfarrkirche St. Michael

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Einführung:

Sehr geehrte, liebe bischöfliche und priesterliche Mitbrüder, lieber Herr Stadtdechant, liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Herrn Stadtdechant Becker, dem Pfarrer dieser Gemeinde St. Michael, sage ich meinen herzlichen Dank für seinen freundlichen Willkommensgruß. Mit ihm grüße ich die Konzelebranten und Sie alle, die Sie sich zu dieser Eucharistiefeier während des jetzigen 96. Deutschen Katholikentages hier eingefunden haben.

Gestern haben wir das Fest Christi Himmelfahrt gefeiert: Der auferstandene Christus geht ein in die Herrlichkeit des Vaters, er sendet seine Jünger in die ganze Welt hinaus und trägt ihnen auf, alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen. Das zielt auf die Evangelisierung der jüdischen und der heidnischen Welt, aber nicht nur in der Form der ausdrücklichen Verkündigung des christlichen Glaubens, sondern auch durch ein beispielhaftes Leben aus dem Glauben. Das Wort der Heiden über die Christen: „Seht, wie sie einander lieben“ macht deutlich, dass die Erfahrung der überzeugenden Umsetzung des Glaubens in den konkreten Alltag für die Hinwendung zum Glaubens eine große Hilfe sein kann. Zugleich kann sie auch den schon Glaubenden Anstoß und Anlass sein, sich noch entschiedener auf den Glauben einzulassen. Nicht zuletzt deswegen lenkt die Kirche unseren Blick immer wieder auf die Heiligen, an denen wir ablesen können, wie „Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht“ aussehen und gelebt werden kann. Heute schauen wir auf den hl. Philipp Neri, der 1515 in Florenz geboren wurde und als „zweiter Apostels Roms“ in die Geschichte eingegangen ist.

Prüfen wir uns zu Beginn dieser Eucharistiefeier, woran wir uns in unserem Denken und Verhalten orientieren. Bitten wir Gott, dass er uns zeige, wo wir uns seinem Auftrag verweigern, und dass er uns unsere Schuld vergebe.

Predigt:

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

1. Der hl. Philipp Neri, dessen wir heute gedenken, wurde 1515 als Sohn eines Rechtsanwalts in Florenz geboren und starb 1595 in Rom. Es war die Zeit des Renaissance. Auf der einen Seite stand das Rom der marmornen Paläste, der glänzenden Feste und des gepflegten Müßiggangs, auf der anderen das der armen Leute und der Bettler - auf der einen Seite die Faszination, die die Wiederentdeckung des heidnischen antiken Roms auf viele ausübte, auf der anderen Seite neben manchen religiösen Verfallserscheinungen das vielfältige Bemühen um eine Neubelebung und Vertiefung des Lebens aus dem Evangelium. Zeitgenossen Philipp Neris waren neben mehreren Reformpäpsten der hl. Karl Borromäus, der Erneuerer der Kirche von Mailand, der hl. Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, und die heilige Theresia von Avila.

2. Die erste Prägung empfing Philipp Neri im Dominikanerkloster seiner Heimatstadt Florenz. Dabei bekam er ein Gespür für das, was der Heilige Geist zu jeder Zeit unter den Menschen und in der Kirche wirken will. Als er 16 Jahre alt war, schickte ihn sein Vater zu einem Onkel in der Nähe von Montecassino, wo er eine kaufmännische Lehre absolvierte. Zugleich verbrachte er viel Zeit im Mutterkloster des Benediktinerordens und wurde vom klassischen Ideal des Einsiedlerlebens tief beeindruckt; er erlebte hier eine tiefe religiöse Bekehrung, die er selbst als „Gabe der Inbrunst“, als Geschenk einer tiefen und beglückenden Innerlichkeit schildert.

Arm und mittellos ging Philipp Neri 1533 - sechs Jahre, nachdem die Stadt durch die Landsknechte Karls V. verwüstet worden war - nach Rom, das er fortan nicht mehr verließ; dort war er 16 Jahre lang als Erzieher in einer Familie tätig. Er studierte Theologie und Philosophie und sorgte sich um Arme und Kranke. Noch während des Studiums verkaufte er alle seine Bücher außer der Bibel, gab den Erlös den Armen und widmete sich der religiösen Unterweisung der einfachen Leute auf der Straße. Zunehmend wurden ihm außerordentliche mystische Gnadenerweise zuteil.

3. 1548 gründete Philipp Neri gemeinsam mit seinem Beichtvater eine Bruderschaft von Laien zur Betreuung von bedürftigen Rompilgern, Kranken und Armen. Erst 1551 empfing er im Alter von 36 Jahren die Priesterweihe. Seine Versammlungen und Gottesdienste mit Lobliedern und Gebeten in der Volkssprache wurden in Rom so beliebt, dass er in seiner Kirche einen zusätzlichen Raum einrichten musste, damit er die wachsende Gemeinde unterbringen konnte. In diesem Raum, dem Oratorium, wie man es nannte, entstand allmählich eine Wohngemeinschaft Gleichgesinnter, die vom gemeinsamen Glaubensgespräch, von Gebet und Bibelbetrachtung innerlich zusammengehalten wurde. Dieses Oratorium wurde zum Mittelpunkt der Tätigkeit Philipp Neris. 1552 gründete er seine Weltpriester-Kongregation der „Oratorianer“. Die Priester sollten durch tägliches Gebet, durch geistliche Gespräche und die Spendung des Bußsakramentes das Heil der Gläubigen fördern. Philipp Neri war ein begnadeter Seelsorger und ein gesuchter Beichtvater. Zugleich war er auch der Berater der damaligen Päpste.

Bis zu seinem Tod lebte Philipp Neri in äußerster Bedürfnislosigkeit. Der sittlichen Erneuerung Roms galt seine Hauptsorge. Durch seine neuen Methoden der Seelsorge und seinen gewinnenden Humor gewann er großen Einfluss. Als Philipp Neri 1595 in Rom starb, kam zu seiner Beisetzung eine unübersehbare Menschenmenge. Dass er vom Volk „Pippo buono“, der „gute Philipp“ genannt wurde, zeigt seine große Beliebtheit; er gilt als „der zweite Apostel Roms“; er hat das Gesicht der Stadt verwandelt.

4. Wodurch ist Philipp Neri eine so leuchtende und anziehende Gestalt geworden, dass er sich auch heute noch außerordentlicher Beliebtheit erfreut? Papst Johannes Paul II. nannte ihn in seiner Botschaft an das Oratorium zu dessen 400. Todestag, am 26. Mai 1995, einen „liebenswürdigen Heiligen der Freude“, der auch heute noch die unwiderstehliche Anziehungskraft bewahrt habe, „die er damals auf alle ausübte, die zu ihm kamen, um die echten Quellen christlicher Freude kennen zu lernen und aus ihnen zu schöpfen“. Er selbst formulierte und verbreitete leicht einprägsame und zu beherzigende kurze Leitsätze: „Seid gut, wenn ihr könnt!“, „Skrupel und Schwermut aus meinem Haus!“, „Seid demütig und bleibt demütig!“ In diesen Ermahnungen vermittelte er die Erfahrung eines langen Lebens und die Weisheit eines Herzens, von dem der Heilige Geist Besitz ergriffen hatte. Der Papst führte weiter aus: „Der heilige Philipp Neri sticht aus der Kultur der römischen Renaissance heraus als ein „Prophet der Freude“. Der Humanismus, der vor allem den Menschen und seine Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellte, hatte gegen ein &Mac226;finsteres' Mittelalter die Wiederentdeckung der Fröhlichkeit gestellt, die sich durch nichts aufhalten ließ und keinerlei Hemmungen kannte. Der Mensch wurde wie ein heidnischer Gott präsentiert und geriet in die Stellung absoluter Selbstherrlichkeit. Der heilige Philipp Neri war für die Wünsche seiner Zeit offen und wies die Sehnsucht nach Freude nicht zurück, sondern bemühte sich darum, die wahre Quelle der Freude aufzudecken. Es sind dies die Gesetze des Evangeliums und die Gebote Christi, die zur Freude und zum Glück führen. Darin besteht die Wahrheit, die Philipp bei seiner täglichen apostolischen Arbeit der Jugend verkündete.“ Um die Menschen, vor allem die Jugendlichen, auf den Weg der Freude zu führen, ermahnt sie der Heilige zu nichts Außergewöhnlichem, sondern dazu, die gewöhnlichen religiösen Bräuche und Übungen treu zu befolgen: das häufige Gebet, die regelmäßige Teilnahme an der Eucharistie, die Wiederentdeckung und Wertschätzung des Sakramentes der Versöhnung, der familiäre und tägliche Umgang mit dem Wort Gottes, die fruchtbare Übung der brüderlichen Liebe sowie die Verehrung der Mutter Gottes, die Abbild und Ursprung unserer Freude ist.

5. Und was war die Quelle, aus der Philipp Neri selbst für sein apostolisches Wirken Mut und Kraft schöpfte? Papst Johannes Paul II. verweist in einer Predigt zum 400. Todestag des Heiligen auf die von diesem geliebten Wallfahrten zu den sieben Hauptkirchen Roms und auf seine Vorliebe für das Gebet in der St. Sebastian-Katakombe. Hinzu kommt eine persönliche tiefe Begeisterung für die Sache Gottes und der Kirche, die das innere Gleichgewicht niemals verlor und die ihm Kraft und Schwung gab in den vielfältigen Formen seines täglichen Apostolates, besonders beim Aufbau des Oratoriums. Immer geht es ihm um das Anliegen des Hohenpriesterlichen Gebetes, von dem wir im heutigen Evangelium gehört haben und in dem Jesus nicht nur für die Jünger betet, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an ihn glauben. Papst Johannes Paul bemerkt dazu: „Seine persönliche Heiligkeit und die Liebe zum Herrn, die er den Menschen und den Werken zu übermitteln verstand, war eine Frucht des Heiligen Geistes, jenes Geistes, der sein Herz bei der einzigartigen Pfingsterfahrung von 1544 entflammt hatte. Er wusste dieses göttliche Geschenk täglich zu hüten und zu nähren mit intensivem Gebet, das in der Eucharistiefeier gipfelte. Dazu kam die eifrige Betrachtung des Wortes Gottes, verbunden mit einer ausgeprägten Marienverehrung.“

6. Die Sorge Philipp Neris, des „zweiten Apostels Roms“, um die Menschen in der Ewigen Stadt hatte nicht nur den Glauben und ihr ewiges Heil im Blick, auch die materiellen Nöte der Menschen forderten ihn heraus. Mit Gleichgesinnten stellte er sich nach seiner Ankunft in Rom in ihren Dienst. Die von ihm gegründete Bruderschaft von Laien widmete sich, wie schon erwähnt, ganz der Betreuung von bedürftigen Rompilgern, von Kranken und Armen. Hier finden wir einen Hinweis dafür, dass wir den hl. Philipp Neri entsprechend der Thematik unseres jetzigen Katholikentages auch als „Boten der Gerechtigkeit“ bezeichnen können. Die Not und das Recht der Hilfsbedürftigen lagen ihm besonders am Herzen. Es ging ihm um die Verwirklichung des Gebotes der Nächstenliebe, die Jesus uns zusammen mit dem Gebot der Gottesliebe als Erfüllung des Gesetzes aufgetragen hat.

7. Solche Liebestätigkeit ist auch heute eine geforderte und notwendige Hilfeleistung dort, wo die öffentliche Fürsorge versagt, überfordert ist oder den Menschen nicht erreicht. Unser Heiliger Vater Papst Benedikt XVI. hat in seiner Enzyklika DEUS CARITAS EST darauf hingewiesen, dass es der zentrale Auftrag der Politik ist, eine gerechte Ordnung in Staat und Gesellschaft zu schaffen. Dennoch ist er zugleich überzeugt, dass „der Mensch über die Gerechtigkeit hinaus immer Liebe braucht und brauchen wird“ (ibid. Nr. 29). In seiner Grußbotschaft an den jetzigen Katholikentag führt der Heilige Vater die Worte von Joseph Kardinal Höffner an, der gesagt hat: „Gerechtigkeit und Liebe schließen einander nicht aus, sondern sichern erst in ihrer Verbundenheit den Bestand und die Entfaltung der menschlichen Gesellschaft.“ Gerade wir Christen müssen uns angesichts der vielen leidvollen sozialen Probleme in einer Vielzahl von Ländern weltweit durch die Liebe und das Beispiel Christi gedrängt fühlen, durch unser Gebet und unseren Einsatz dazu beizutragen, dass die Welt, in der wir leben, etwas gerechter vor Gottes Angesicht wird.

8. Der hl. Philipp Neri hat in einer schwierigen Zeit die Menschen in Rom aus der weitverbreiteten Oberflächlichkeit aufgerüttelt und ein scheinbares Desinteresse an den Fragen des Glaubens und der sozialen Verhältnisse gebrochen. Er konnte das tun, weil er selbst in der Tiefe seines Herzens von der Liebe Gottes durchdrungen war und sich von ihr in Pflicht genommen wusste. Er hat dazu beigetragen, dass „Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht“ in seiner Zeit und in seiner Stadt ein wenig erkennbarer wurde und Gestalt annahm.

Bitten wir, dass dieser Katholikentag unseren Blick und unser Herz öffne für Gottes Auftrag an uns in unserer Zeit. Wir dürfen gewiss sein, dass Gott sich auch heute an Hochherzigkeit und Güte nicht übertreffen lassen wird. Amen